Haltung des ASTRA gegen den Schutz der Alleen

Briefwechsel mit Jürg Röthlisberger, Direktor ASTRA, von Ende Juli - Anfang August 2017
 

Herrn Jürg Röthlisberger
Direktor ASTRA
Mühlestrasse 2, 
3063 Ittigen                                                                                                                        

                                                                                                                    28. Juli 2017

    



Von Kahlschlag bedrohte Alleen im Berner Nordquartier / Fragwürdige Güterabwägung 


Sehr geehrter Herr Röthlisberger

Im Namen der Freien Arbeitsgruppe Städtebau und Öffentlicher Verkehr, Bern (tram-ostermundigen.be), deren Ziel es ist, die im Inventar der historischen Verkehrswege eingetragenen Alleen im Berner Nordquartier zu retten, wende ich mich an Sie und - wie die Liste der Kopie-Empfänger zeigt - an das gesamte UVEK.

Vorgängig zur Realisierung von TramRegionBern (TRB), einem von der Bau- und Verkehrsdirektorin des Kantons Bern initiierten Durchmesser-Tram-Projekt, welches nach dem Scheitern in der Volksabstimmung von 2014 jetzt neu als Tram Bern Ostermundigen (TBO) aufgegleist wird, musste das ASTRA innerhalb des UVEK eine Güterabwägung vornehmen, mit welcher geklärt werden sollte, ob die Rodung der inventarisierten historischen Alleen an der Ostermundigenstrasse (Tramgeleise) und Bolligenstrasse (Ausweichsverkehr während der Bauarbeiten) verantwortet werden können.
Tatsächlich sind gemäss Art. 7 VIVIS Eingriffe in Objekte des Inventars zulässig, wenn sie die Schutzziele nicht verletzen. Ausnahmen werden akzeptiert, wenn die Beeinträchtigungen "sich durch ein Interesse rechtfertigen lassen, das gewichtiger ist als das Interesse am Schutz des Objekts“ (Art. 7, Abs. 2). 
Offensichtlich kam das ASTRA - und so auch das UVEK als Ganzes - zum Schluss, dass die Umstellung der BernMobil-Linie 10 von Bus- auf Trambetrieb höher zu gewichten sei als der Erhalt der alten Alleebäume.

In der seit 2014 vergangenen Zeit hat die Freie Arbeitsgruppe Städtebau und Öffentlicher Verkehr, Bern festellen können, dass eine Kapazitätserhöhung des ÖV-Verkehrs zwischen Ostermundigen und Bern keineswegs einzig durch eine Umstellung der BernMobil-Linie 10 von Bus- auf Trambetrieb erreicht werden kann. 
Wir haben Grund zur Annahme, dass Ihnen (wie übrigens auch uns) die Linienführung TramRegionBern in diesem Abschnitt als absolut alternativlos präsentiert wurde. Dem ist jedoch nicht so. Im Gutachten von Prof. Weidmann vom 03. 05. 2011 (Tram Region Bern Gutachten Überprüfung von Zweckmässigkeit und Kosten) wird auf S. 47 festgehalten, dass alternative Linienführungen „vorzeitig ausgeschlossen“ und nicht „weiter untersucht“ wurden. Mit Alterantivlinien, die zur Lorrainebrücke und zum Bollwerk führen, kann, so Weidmann, die Innenstadt umfahren werden und "bezüglich ÖV-Belastung und Störungsanfälligkeit würden bedeutende Vorteile resultieren" („Netzredundanz“). Weitere Entlastungslinien Richtung Lorraine-Bollwerk sind von der Freien AG Städtebau und Öffentlicher Verkehr, Bern publik gemacht worden (s. tram-ostermundigen.be). 
Zur Begründung ihres frühen Ausschlusses dieser Varianten, stützten sich die Projektbefürworter von TRB auf Daten, die belegen sollten, dass die Destination Zytglogge nur mit Umsteigen erreichbar wäre. Diese Daten waren jedoch, wie auch Prof. Weidmann bemerkte, falsch. Er schreibt (S.47):
Gemäss Bericht „alternative Linienführungen“ weist die Haltestelle Hauptbahnhof die höchsten Fahrgastfrequenzen auf, gefolgt von Zytglogge, Hirschengraben und Bärenplatz. Hauptbahnhof und Hirschengraben wären weiterhin direkt erschlossen – Bärenplatz und Zytglogge aber nur mit einmal umsteigen, was zum vorzeitigen Ausschluss dieser Variante führte. Ob ein Verzicht auf die Direkterschliessung von Bärenplatz und Zytglogge die Nachfrage wesentlich beeinflusst, kann nicht beurteilt werden. Zwar verzeichnet vor allem die Haltestelle Zytglogge eine hohe Fahrgastfrequenz, doch ist damit noch nicht bewiesen, dass es sich dabei um Quell-/Zielverkehr der Innenstadt handelt. Ein gewisser Anteil Umsteiger, die auch die Haltestelle(n)  am Bahnhof nutzen könnten, ist darin ebenso enthalten. Da die Fahrgastzahlen aus dem Jahr 2009 stammen, ist zudem zu berücksichtigen, dass auch die Umsteiger vom Tram G (6) enthalten sind, bevor diese Linie durchgebunden wurde. Das heisst: Für eine aussagekräftige Beurteilung wäre eine detaillierte Quell/Ziel-Analyse erforderlich.

Für uns ist klar, dass bereits aufgrund dieser verfälschten Grundlagen die Güterabwägung, welche das ASTRA vornehmen musste, beeinträchtigt war. Alternativen zur Führung einer Tramlinie durch Viktoria-, Laubegg- und Ostermundigenstrasse gab es immer, bloss wollte die TRB-Projektleitung diese nicht zulassen.
Im Verlauf des Jahres 2016 wurde zudem bekannt, dass die Entlastung der Buslinie 10 auch mit dem Ausbau der S-Bahn zwischen Bern und Ostermundigen gewährleistet werden kann. Der Kanton Bern selbst (vertreten durch das Amt für Öffentlichen Verkehr) forderte 2015 von der Firma INFRAS einen Situationsbericht an, in welchem Prognosen zur Bewältigung des öffentlichen Verkehrs zwischen Ostermundigen und Bern dargestellt werden sollten. INFRAS kommt auf S. 5  ihres Berichts (Buslinie 10 Koniz-Bern-Ostermundigen Angebotskonzept 2018 - 2025, 14. 09. 2015) zu einem Schluss, der die vom ASTRA vorgenommene Güterabwägung entscheidend relativiert: 

Im Zeithorizont 2025/2030 können durch den S-Bahnausbau im Korridor Ostermundigen Entlastungswirkungen erwartet werden, die im kapazitätskritischen Querschnitt zu einer gedämpften Nachfrageentwicklung bzw.einer Stagnation auf der Linie 10 führen werden.

Diese klare Aussage, welche vom Kanton und der Verkehrskommission der Aggomerationkonferenz als „brisant“ eingestuft und deshalb lange unter Verschluss gehalten wurde, sollte unserer Meinung nach das ASTRA dazu bewegen, gestützt auf Art. 7a VIVIS seinen damaligen Entscheid nicht nur zu überdenken, sondern zurückzunehmen.

Da die Interessen des öffentlichen Verkehrs zwischen Ostermundigen und Bern mit dem massiven Ausbau der S-Bahn (Geleise und Bahnhöfe)  und der Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt allenfalls eine der bestehenden, aber nicht zugelassenen Alternativlinien zu realisieren, vollständig gewahrt sind, entfällt die Notwendigkeit einer Güterabwägung zwischen den Interessen des Öffentlichen Verkehrs und dem Erhalt der inventarisierten Alleen.

Wenn also der Baumbestand nicht nur an der Ostermundigen-, der Laubegg- und der Bolligenstrasse, sondern auch an der Viktoriastrasse erhalten werden kann, wird das nicht nur das ASTRA, sondern das ganze UVEK freuen - von der Bevölkerung im Berner Nordquartier gar nicht zu reden. Schliesslich haben die Klimaexperten des Bundes gerade in diesem Sommer wiederholt empfohlen, in den Städten den Baumbestand nicht nur zu erhalten, sondern zu erweitern (s. z.B. NZZamSonntag, 04.06.2017/https://nzzas.nzz.ch/notizen/bund-warnt-vor-toedlichen-hitzewellen-ld.1299176 )

In der Hoffnung, es werde Ihnen, dem ASTRA und dem UVEK gelingen, die Motorsägen zu stoppen, bevor sie ihre zerstörerische, kulturfeindliche und Stadtklima-schädigende Arbeit verrichten

grüsse ich Sie freundlich

Für die Freie Arbeitsgruppe Städtebau und öffentlicher Verkehr, Bern

Urs Dürmüller

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Urs Dürmüller, Dr.phil.habil., Prof.em.
Grimselstrasse 39
3014 Bern
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Nota bene: Dieses Schreiben ist zur Verbreitung als „offener Brief“ freigegeben!

 

-> Brief als PDF

 

 

 

 

 

 

 

Antwort des ASTRA vom 2. August 2017

 

Sehr geehrter Herr Dürmüller

 

Ich danke Ihnen für Ihr Mail, zu dem ich gerne wie folgt Stellung nehme. Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) hat zum Projekt TramRegionBern keine Güterabwägung vorgenommen, sondern als Fachstelle des Bundes für den Langsamverkehr und die historischen Verkehrswege zu dem ihm unterbreiteten Projekt Stellung genommen. Dabei kam es zum Schluss, dass im Abschnitt Rosengarten bis Kreisel Pulverweg die Eingriffe in den historischen Verkehrsweg zum grössten Teil akzeptabel sind, sofern Ersatzmassnahmen geleistet werden. Für den Bereich Kreisel Pulverweg bis zur Einmündung Zentweg hat das ASTRA damals die nochmalige Überprüfung des Projekts beantragt, damit die dort vorhandene Allee besser erhalten werden kann.

 

Bekanntlich hat das Stimmvolk das Projekt TramRegionBern im September 2014 abgelehnt. Für ein allfälliges Nachfolgeprojekt müssen die Projektverantwortlichen neue Unterlagen einreichen und das ASTRA muss diese neu beurteilen. Wie die Stellungnahme des ASTRA ausfallen wird, können wir deshalb heute noch nicht sagen.

 

Ich wünsche Ihnen allzeit gute Fahrt.

 

Freundliche Grüsse

Jürg Röthlisberger

 

Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK
Bundesamt für Strassen ASTRA
Abteilung Direktionsgeschäfte
Information und Kommunikation

 

 

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